Im Zusammenhang meiner nun kurz vor Veröffentlichung stehenden Urtextausgabe der drei bekannten und vielgespielten „Divertimenti“ KV 136–138 wurde klar, dass Mozarts eigene, ungewöhnlich vage Datierung im Kopf seines Autographs: „Salisburgo 1772“ nicht gänzlich zutreffen kann. Ich gehe vielmehr davon aus, dass er an der Komposition dieser drei Werke bereits ab dem Spätherbst 1771 in Mailand arbeitete, um sie dann erst in Salzburg zu Jahresbeginn 1772 abzuschließen. In diesem Blogbeitrag möchte ich diese These knapp begründen.

DATIERUNG. Mozarts ungewöhnlich pauschale Datierung erfolgte offensichtlich nachträglich, was bisher noch nirgends zutreffend beschrieben wird. Denn die Ziffer „2“ aus „1772“ ist offenkundig verdickt, was auf eine Korrektur hinweist. Leider hat uns der Eigentümer des Originals keinen Zugang ermöglicht, weshalb ich mit schlechten Kopien arbeiten musste, aber vermutlich hatte Mozart ursprünglich „1771“ geschrieben, und dann zu „1772“ korrigiert:

Datierung im Kopf des Autographs KV 136.

HANDSCHRIFT. Wolfgang Plath, der große Mozart-Forscher und unbestechliche Kenner der Handschrift Mozarts, akzeptierte die übliche Datierung der drei Divertimenti für den „Zeitraum ca. Januar – März 1772 … als wahrscheinlich“, stellte jedoch zum Schriftbild des 1. Satzes von KV 136 fest, dass dieses „mühelos etwa in der weiteren Nachbarschaft von KV 112 einzuordnen“ sei (Wolfgang Plath, Beiträge zur Mozart-Autographie II. Schriftchronologie 1770–1780, in: Mozart-Jahrbuch 1976/77, Salzburg 1978, S. 147). Das würde Mailand, ca. November 1771 bedeuten. Und auch das ursprüngliche, spontan notierte, von Plath seinerzeit nicht erkannte „1771“ erklären.

AUTOGRAPH. Wenn man Mozarts Partiturbild von KV 136–138 mit seinen sonstigen Partituren vergleicht, so ist es sehr ungewöhnlich notiert. Statt eines der üblichen Streichquartett-Papiere der Zeit mit insgesamt 10 Systemen, die zu 2×4 Systemen (mit 2 Leersystemen) beschrieben wurden, nutzte Mozart hier alle Systeme des 12zeilig rastrierten Notenpapiers aus. Dadurch ist alles ungewöhnlich gedrängt notiert, die Notenschrift ist eng, klein, hastig. Es fehlt die sonst übliche räumliche Großzügigkeit der Anlage. Zweitens kommen recht viele Korrekturen und ungewöhnlich häufig eine stark abkürzende Notation hinzu; so notiert Mozart unmittelbare Wiederholungen platzsparend nicht etwa aus, sondern schreibt eine sogenannte „bis“-Anweisung, meist umzirkelt er dabei auch noch den oder die zu wiederholenden Takte; „bis“ heißt „2 Mal“ und dient als Markierung und Hinweis für den Kopisten bei wörtlich zu wiederholenden Abschnitten:

„bis“-Anweisung in KV 136/2, T 21–24 wiederholt in 25–28.

 

KV 136/3, T. 39 am Rand

Takt 39 des 3. Satzes von KV 136 hatte Mozart zunächst vergessen zu notieren; er ergänzt ihn dann nachträglich am linken Rand vor der Akkolade, was ein klares Indiz dafür ist, dass er hier bestehendes Material abschrieb und nicht etwa neu Komponiertes erstmalig niederschrieb:

Auch ist eine längere Passage des Kopfsatzes von KV 138 (T. 36–74) mit deutlich spitzerer Feder notiert – also zu einem anderen Zeitpunkt als die vorausgehenden und nachfolgenden Takte, was auf eine Unterbrechung des Schreibvorgangs deutet.

NOTENPAPIER. Alan Tyson, der große Mozart-Forscher und unbestechliche Kenner der von Mozart verwendeten Notenschreibpapiere, datiert das Notenpapier von KV 136–138 auf „Salzburg 1771“. Es handelt sich bei allen 12 Blättern um italienisches Papier mit dem Wasserzeichen „WZ 25“. Auf diesem Papier hat Mozart sonst nur noch wesentliche Teile seiner Serenata „Il Sogno di Scipione“ KV 126 („Der Traum des Scipio“) geschrieben; Datierung: Salzburg April bis August 1771 (siehe NMA, Vorwort), Uraufführung des Werks allerdings erst 1772.

 

FAZIT. All diese Beobachtungen zusammengenommen liegt es also mehr als nahe, dass Mozart entgegen der bisherigen Annahme an der Komposition seiner drei „Quartett-Divertimenti“ KV 136–138 nicht erst in Salzburg nach seiner Rückkehr von der zweiten Italienreise, also „Januar bis März 1772“, sondern bereits in Italien Ende 1771 arbeitete. Er hatte sich bei der Abreise nach Italien aus Salzburg 12zeilig rastriertes Notenpapier (nämlich Restbestände von KV 126) nach Mailand mitgenommen und dann nach Abschluss seiner eigentlichen dortigen Verpflichtung im Herbst 1771 – nämlich der Komposition der Serenata teatrale „Ascanio in Alba“ (KV 111) – die Zeit u.a. zum Komponieren der launigen Divertimenti genutzt. Vermutlich notierte er dabei zunächst allerlei Skizzen und Entwürfe und brachte das Ganze dann eng gedrängt zu Papier, weil er nämlich nur noch 12 Blätter Papier übrighatte. Diese „Abschreibtätigkeit“ dürfte dann zum Großteil in Salzburg nach der Rückkehr vonstattengegangen sein, was sowohl die auffällige Veränderung der Handschrift nach dem ersten Satz KV 136 zu den übrigen Partien des Autographs, wie auch das „Salisburgo“ (anstatt „Milano“) in Mozarts Datierung erklären vermag.

Die biographische Situation Mozarts Ende 1771 unterstützt zu guter Letzt diese allein aus dem autographen Befund und dem verwendeten Notenpapier abgeleitete Datierungshypothese: Mozart hatte nach Abschluss seines „Ascanio“ KV 111 nämlich jede Menge freie Zeit im Spätherbst 1771 in Mailand. Erst Anfang Dezember ging es zurück nach Salzburg. Leopold Mozart schreibt am 28. September 1771 nach Hause: „unsere Vacanz und unterhaltung fängt nun an […] weil der Wolfg: am Montage schon alles fertig hatte“ (Brief Nr. 247). Dank dieser erfreulichen „Vacanz und unterhaltung“ sind also die drei wunderbaren „Divertimenti“ KV 136–138 wesentlich in Norditalien entstanden, was man doch jeder Note anhört.

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