Franz Schubert
Klaviersonaten, Band I
Schuberts 22 Klaviersonaten spiegeln den kompositorischen Weg, den dieser allzu früh verstorbene Komponist gegangen ist, sehr genau wider. Von den ersten Versuchen des Sechzehn- bis Neunzehnjährigen ist eine kontinuierliche Entwicklung festzustellen hin zu den fünf großen Sonaten, die er in den Jahren zwischen 1823 und 1826 komponierte und schließlich zu den drei kurz vor seinem Tod entstandenen, meisterlichen Sonaten, die ihn als Sonatenkomponisten fraglos auf eine Stufe mit Beethoven stellen.
Die dreibändige Henle-Urtextausgabe der Klaviersonaten von Franz Schubert enthält in diesem Band I sieben Sonaten der beiden früheren Perioden, die alle mit bestimmten Opuszahlen bekannt geworden sind. Nur zwei sind zu Lebzeiten Schuberts erschienen. Eröffnet wird der Band mit der wohl bekanntesten Sonate dieser beiden Perioden, der A-dur-Sonate D 664, op. post. 120. Angesichts der weit auseinander liegenden Entstehungszeiten - 1817, 1823, 1825 .
Inhalt/Details
Über den Komponisten
Franz Schubert
Er ist nicht nur Inaugurator des Kunstliedes und dessen bedeutendster Komponist im 19. Jh., sondern hat in seinen Instrumentalwerken ein der Wiener Klassik entgegengesetztes kompositorisches Konzept verwirklicht. Seinen „himmlischen Längen“ liegt eine Zeitgestaltung zugrunde, die nicht nach dem Prinzip der Prozessualität funktioniert, sondern das Verweilen thematisiert; Veränderungen geschehen meist nicht in kontinuierlicher Entwicklung, sondern durch einen plötzlichen Einbruch. Seine kunstvollen Lieder widersprechen dem Einfachheitsideal der zeitgenössischen Liedästhetik und begründen das Kunstlied des 19. Jh.s, sie gelten als vorbildlich für die nachfolgenden Komponistengenerationen; sie werden durch komplexe Harmonik, Integration von Idiomen der Instrumentalmusik, semantischen Modellen und einem neuen Verhältnis zwischen Text und Musik bestimmt, indem das Gedicht durch die Komposition insgesamt interpretiert wird statt nur durch das Ausmalen von einzelnen Textworten. Sein trotz kurzer Lebenszeit immenses Œuvre umfasst 600 Lieder, darunter seine beiden berühmten Liederzyklen; 7 vollendete und mehrere unvollendete Sinfonien (darunter die „Unvollendete“ h-Moll), weitere Orchesterwerke; zahlreiche Kammermusikwerke; 14 vollendete und mehrere unvollendete Klaviersonaten sowie weitere Klavierstücke, Tänze für Klavier und vierhändige Klavierwerke; 6 Messen und andere geistliche Kompositionen; zahlreiche Stücke für Chor bzw. Vokalensemble, vor allem für Männerstimmen. Obwohl er auch zu jedem Genre des Musiktheaters beigetragen hat und ihm von seinen Freunden eine Opernkarriere vorausgesagt wurde, wurden von seinen 10 vollendeten Opern nur zwei zu seinen Lebzeiten sowie die Schauspielmusik zu „Rosamunde“ aufgeführt.
1797 | Er wird am 31. Januar in Himmelpfortgrund bei Wien als Sohn eines Lehrers geboren. Erste Klavierstunden bei seinem Bruder Ignaz, Violinunterricht im Alter von 8 Jahren bei seinem Vater. |
Ab 1808 | Sängerknabe in der Hofkapelle; Besuch des kaiserlich-königlichen Stadtkonvikts, er spielt Violine in deren Orchester. Unterricht bei Antonio Salieri, der den von Mozart, Haydn und Beethoven Begeisterten von der ital. Oper zu überzeugen versucht. Erste erhaltene Kompositionen. |
1811 | Komposition seines ersten Liedes „Hagars Klage“. |
1813–14 | Besuch der Normalhauptschule, danach unterrichtet er in der Schule seines Vaters. |
1813/14 | Komposition der Zauberoper „Des Teufels Lustschloss“ und der Sinfonie Nr. 1 D-Dur in klassischer Form. |
1814 | Komposition der Messe F-Dur D 105. Er schreibt Lieder, die er nach Dichtern gruppiert, z. B. nach Matthisson und Goethe, darunter „Gretchen am Spinnrade“, das den Beginn des Kunstliedes markiert. |
1815 | Komposition der Singspiele „Claudine von Villa Bella“ nach Goethe und „Der vierjährige Posten“. Vollendung der Sinfonie Nr. 2 B-Dur und Komposition der Sinfonie Nr. 3 D-Dur sowie der Messen Nr. 2 G-Dur und Nr. 3 D-Dur; u.a. das Lied „Erlkönig“. |
1816 | Komposition von 110 Liedern, der Sinfonien Nr. 4 c-Moll und Nr. 5 B-Dur, der Messe C-Dur. Er verlässt das elterliche Haus, unterbricht seine Lehrerstelle und zieht zu Schober. |
1817 | 60 Lieder, darunter die bekannten „Der Schiffer“, „Ganymed“, „An die Musik“, „Die Forelle“, „Gruppe aus dem Tartarus“, „Der Tod und das Mädchen“. Allmählich werden seine Kompositionen (sein Œuvre umfasst bereits rund 500 Werke) aufgeführt. Rückkehr ins Elternhaus. |
1818 | Er unterrichtet die Töchter des Grafen Johann Karl Esterházy. Komposition von vierhändigen Klavierstücken. |
um 1819 | Komposition des Klavierquintetts A-Dur („Forellenquintett“). |
1820 | Uraufführung des Melodrams „Die Zauberharfe“ und des Singspiels „Die Zwillingsbrüder“ in Wien. U. a. Lied „Frühlingsglaube“. |
1821 | Erste Schubertiade: geselliger musikalisch-literarischer Abend des Schubert-Kreises. Publikation der Lieder „Erlkönig“ und „Gretchen am Spinnrade“ sowie weiterer Goethelieder und von 36 Tänzen. |
1821–22/54 | Komposition/Uraufführung von „Alfonso und Estrella“, einer der frühen durchkomponierten dt. Opern. |
1822 | Vollendung der Messe As-Dur; Sinfonie Nr. 7 h-Moll („Unvollendete“); Wandererfantasie C-Dur für Klavier, die in einem Satz die vier sinfonischen Satzcharaktere vereint. |
1823 | Komposition des Singspiels „Die Verschworenen“ (Uraufführung in Frankfurt a. M. 1861), der heroisch-romantischen Oper „Fierrabras“ (Uraufführung in Karlsruhe 1897) und der Schauspielmusik zu „Rosamunde“, die in Wien uraufgeführt wird. Liederzyklus „Die schöne Müllerin“, Lieder u. a. „Auf dem Wasser zu singen“, „Lachen und Weinen“; Klaviersonate a-Moll D 784. |
1824 | Nochmals Lehrer der Kinder des Grafen von Esterházy. Streichquartett d-Moll („Der Tod und das Mädchen“). „Wandrers Nachtlied“ („Über allen Gipfeln ist Ruh“). Die Klaviersonate gewinnt an Gewicht. |
1825 | Lange Ferienreise, u. a. nach Gmunden-Gastein, dort Komposition der Großen Sinfonie C-Dur (Nr. 9 bzw. 8), in der die klassische Form erheblich erweitert wird (z. B. Horn-Motto am Beginn, Zeitgestaltung). |
1827 | Liederzyklus „Winterreise“ (Kontrast von Traum- und Realitätsebenen); Deutsche Messe; 4 Impromptus für Klavier; Klaviertrios B-Dur D 898 und Es-Dur D 929. |
1828 | Publikation der 6 „Moments musicaux“ für Klavier. Komposition der letzten 3 Klaviersonaten c-Moll, A-Dur und B-Dur (letztere mit der Tendenz zum Esoterischen), des Sonatensatzes a-Moll (Lebensstürme) für Klavier zu 4 Händen, der Messe Es-Dur. „13 Lieder nach Gedichten von Rellstab und Heine“ (postum „Schwanengesang“). Im März Konzert, das nur seiner eigenen Musik gewidmet ist. Er stirbt am 19. November in Wien. |
Über die Autoren
Hans-Martin Theopold (Fingersatz)
Prof. Hans-Martin Theopold wird am 22. April 1904 als jüngstes von fünf Kindern einer Pfarrfamilie in Detmold geboren. Schon als Kind spielt er häufig die Orgel der „Marktkirche“ und nimmt bald Klavierunterricht (bei Theodor Vehmeier), mit 17 Jahren debütiert er als mit Ludwig van Beethovens Klavierkonzert C-dur am Detmolder Landestheater unter der Leitung von Friedrich Quast (Herford). Nach am Gymnasium Leopoldinum Detmold bestandenen Abitur studiert er Musik und Klavier (Hauptfach): 1922–23 zunächst an der Württembergischen Hochschule für Musik in Stuttgart (bei Max von Pauer, 1866–1945) und daraufhin 1923–1928 an der staatlichen akademischen Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg (bei Richard Rössler, 1880–1962, und Waldemar Lütschg, 1877–1948). Im Anschluss an seine mit Prädikatsnote „sehr gut“ abgeschlossenen Klavierstudien im Jahr 1928 entfaltet Theopold eine rege solistische Konzerttätigkeit im In- und Ausland (USA, Schweiz, Skandinavien, Baltikum, Balkan). Auch als Mitglied der Kammermusikvereinigung der Staatsoper Berlin (seit 1933) gibt er unzählige Kammermusikkonzerte, unter anderem mit seinem langjährigen Violinpartner Gustav Havemann (1882–1960).
Publikum und Presse feiern Theopold in den 1930er-Jahren als außerordentliche Pianisten-Begabung: „Dieser junge Künstler hat das Zeug in sich, in Bälde einer der besten Spieler Deutschlands zu werden. Eine überragende Technik, ein wundervoll singender Klavierton, eine titanische Kraft, der durch eine unvergleichlich weiche Elastizität des Anschlages jede Härte genommen ist“ [Münchener Zeitung, 21. November 1933]. – „Von seinem blendenden pianistischen Können gab H. M. Theopold überzeugende Beweise in einer modern gerichteten, stark fesselnden Sonate von Alban Berg, vor allem aber in Schuberts […] in geschliffener Technik und gestalterischer Kraft gespielter Wanderer-Fantasie“ [Weser-Zeitung, 21. Dezember 1932]. Theopold erhält mehrere Preise, darunter schon 1928 den „Grotrian-Steinweg-Preis“.
Im Jahr 1937 wird Theopold zum Vertragslehrer für das Hauptfach Klavier am „Bayerischen Staatskonservatorium der Musik“ in Würzburg ernannt. 1939 erfolgt die Verehelichung mit der aus Moskau stammenden Irene Tatjana Wülfing. Ab 1943 übernimmt Hans-Martin Theopold die Leitung der Meisterklasse für Klavier an der „Nordischen Musikschule“ in Bremen, die durch die Kriegsereignisse abgebrochen wird. Nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft konzertiert und unterrichtet Theopold ohne Festanstellung. 1955–1956 fungiert er zunächst als Leiter der Meisterklasse für Klavierspiel des „Bergischen Landeskonservatoriums“ Wuppertal und wird schließlich am 1. April 1956 zum Professor für das Fach Klavier an das „Staatliche Institut für Schul- und Volksmusik“ in Detmold, später „Nordwestdeutsche Musikakademie Detmold“ (heute „Hochschule für Musik Detmold“) berufen. Hier entfaltet er eine jahrzehntelange rege Lehrtätigkeit. Am 30. September 1969 wird er in den Ruhestand verabschiedet. „Seine Schüler rühmen an ihm seine pädagogische Begabung. […] Humor, Charme, Hilfsbereitschaft und Herzensgüte mildern die Strenge seiner Berufsauffassung als Musiker und Lehrer“ (Lippische Rundschau, 23.4.1969; siehe auch: Lippische Landeszeitung 22.4.1969 zum 65. Geburtstag Theopolds: „Prof. Theopold, ein bescheidener, gleichwohl vitaler Mann, ist ein begeisterter Pädagoge“). Im Jahr 2000 stirbt Theopold in Detmold.
Der Kontakt zu Günter Henle kam unmittelbar nach Gründung des Verlags zustande, als sich Theopold mit großem Enthusiasmus für die ersten Urtextausgaben des gerade gegründeten Musikverlags bedankte. Eine umfangreiche Korrespondenz des Verlagsarchivs wurde 2014 der Lippischen Landesbibliothek vermacht, um sie der interessierten Öffentlichkeit langfristig zugänglich zu machen. Diese Korrespondenz beweist einerseits Theopolds starkes Interesse an musikalischen Quellen- und Textfragen, andererseits seine anfängliche strikte Ablehnung (!) von Fingersätzen in solchen textkritischen Ausgaben: „Denn Fingersätze sind und bleiben trotz aller Qualität eine individuelle Angelegenheit“ (Brief an Günter Henle vom 26. Mai 1949). Günter Henle lässt sich jedoch nicht beirren und pocht auf die Notwendigkeit von Fingersätzen in seinen Urtextausgaben: „Es ist doch besser, man bringt den Urtext […] mit Fingersätzen, die für einige wenige entbehrlich sind oder gar, ich gebe es zu, vielleicht da und dort störend empfunden werden“ (Brief an Hans-Martin Theopold vom 17. September 1953).
Erst im Jahre 1955 nimmt Hans-Martin Theopold erstmals das Angebot Günter Henles an, versuchsweise Fingersätze für eine gerade im Entstehen begriffene Urtextausgabe beizusteuern (HN 74, Schubert, Tänze für Klavier, Band 1). In rascher Folge bekommt Theopold daraufhin nahezu sämtliche Fingersatzaufträge für Neuerscheinungen des Verlags übertragen. Günter Henle, selbst ein guter Klavierspieler, schätzte die Fingersätze Theopolds sehr, auch seine damit verbundenen zahlreichen Anregungen, den eigentlichen Notentext betreffend. Außerdem war Theopold in der Zusammenarbeit stets zuverlässig, gründlich und gewissenhaft – ein nicht unwesentlicher Aspekt in der Verlagsarbeit.
Hans-Martin Theopold hat deshalb bis heute mit großem Abstand die meisten Urtext-Ausgaben des G. Henle Verlags mit seinen Fingersätzen versehen. Es sind schließlich 226 Editionen (!) geworden. Eine Laudatio des G. Henle Verlags, im Jahre 2014 aus Anlass einer Gedenkfeier zu Theopolds 110. Geburtstag verfasst, kann man » hier lesen. Wir danken Frau Margot Theopold sowie der Hochschule für Musik Detmold für vielfältige Unterstützung und Bereitstellung biographischen Materials.
G. Henle Verlag
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