Der Diplomat, Politiker und Großindustrielle Günter Henle (1899–1979) hatte die richtige Idee zur richtigen Zeit. Denn er gründete am 20. Oktober 1948 seinen „Verlag zur Herausgabe musikalischer Urtexte“. Als exzellenter Pianist hatte er schon als junger Mann feststellen müssen, dass die meisten Notenausgaben den Willen der großen Komponisten von Bach bis Debussy ignorierten und schamlos verfälschten. Diese Ausgaben sind wesentlich geprägt durch überflüssige und unkorrekte Zutaten späterer Herausgeber und Bearbeiter, vor allem des 19. Jahrhunderts. Noch dazu präsentierten sich solche Notenausgaben oft in unzulänglicher Herstellungsqualität.
Solchen Bearbeitungsausgaben sagte Günter Henle den Kampf an, als er 1948 seinen Verlag mit dem ausschließlichen Ziel gründete, endlich Notenausgaben der großen Klassiker vorzulegen, die den richtigen, also authentischen Text bieten. Auf der Suche nach einer griffigen Bezeichnung für das, was seine Ausgaben vor allen anderen auszeichnen sollte, stieß Günter Henle in vereinzelten textkritischen Ausgaben auf den Begriff „Urtext“. Günter Henle machte daraus dank der herausragenden Pionier-Jahre ein Gütesiegel. Es stellte sich heraus, dass Henles Idee der modernen Urtext-Edition eine richtige und weit tragende Entscheidung war. Sie veränderte die musikverlegerische Landschaft nachhaltig. Spätestens seit den 1970er-Jahren hatte Günter Henles Urtext-Idee mit den blauen Ausgaben die ganze Welt, einschließlich Asien, erobert und die Bearbeitungsausgaben weitgehend verdrängt. Heutzutage bedienen sich viele Musikverlage dieses Gütesiegels „Urtext“. Freilich wird mit ihm auch mancherorts leichtfertig umgegangen, denn der Begriff ist weder urheberrechtlich geschützt noch der Sache nach festgeschrieben (zum Begriff „Urtext“).
Schon bald nach Gründung des Verlags überschütteten ihn viele große Künstler mit begeisterter Anerkennung und Bewunderung. (Siehe auch „Künstler" und „Gästebuch“)
Günter Henle widmete von Beginn an dem äußeren Erscheinungsbild (Notenstich, Papier, Druck, Bindung) seiner Notenausgaben ebenso große Aufmerksamkeit wie der musikwissenschaftlich-philologischen Güte. Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens, das seinen Namen trägt, hat ihm Recht gegeben. Günter Henles Idealen sind wir täglich verpflichtet.
Lebenslauf
1899 |
Geburt am 3. Februar in Würzburg |
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1916–1918 |
Teilnahme am 1. Weltkrieg |
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1918–1920 |
Jurastudium in Marburg und Würzburg mit Promotion |
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1921–1931 |
Attaché im Diplomatischen Dienst mit Stationen in Berlin, Amsterdam, Den Haag und Buenos Aires; Auftritte als Pianist, u.a. bei der Erstaufführung von Beethovens Chorfantasie op. 80 in Buenos Aires |
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1931–1936 |
Attaché an der Deutschen Botschaft in London |
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1933 |
Heirat mit Anne Liese Küpper, der Stieftochter des Inhabers der Klöckner-Unternehmensgruppe in Duisburg |
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1937 |
Peter Klöckner nimmt seinen Schwiegersohn Günter Henle als Teilhaber in die Firma auf |
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1940 |
Tod Peter Klöckners, Dr. Henle steigt nach und nach in die Konzernspitze des Industrieunternehmens auf |
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1947–1949 |
Mitglied des Frankfurter Wirtschaftsrates |
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1948 |
Gründung seines „Verlages zur Herausgabe musikalischer Urtexte“ |
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1949–1953 |
Mitglied (CDU) des ersten Deutschen Bundestages |
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ab 1950 |
Förderung zahlreicher hochbegabter Musiktalente, z.B. Edith Peinemann, Murray Perahia und Frank Peter Zimmermann; Freundschaft mit vielen bedeutenden Musikern, u.a. Pablo Casals, Walter Gieseking, Karl Klingler, Yehudi Menuhin, David Oistrach, Arthur Rubinstein, Wolfgang Schneiderhan und Rudolf Serkin |
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1951–1964 |
Vorsitz im Musikgremium des Kulturkreises der Deutschen Industrie |
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1955 |
Mitbegründer des Joseph Haydn-Instituts in Köln |
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1955–1973 |
Mitbegründer und erster Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik |
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1956 |
Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft für Musikforschung |
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1964 |
Ehrenpromotion durch die Philosophische Fakultät der Universität Köln |
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1968 |
Veröffentlichung der Autobiographie „Weggenosse des Jahrhunderts“ |
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1972 |
Gründung der Günter Henle Stiftung |
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1976 |
Ausscheiden als persönlich haftender Gesellschafter bei Klöckner & Co. |
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1979 |
Tod am 13. April in Duisburg |
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Texte von und zu Günter Henle zum kostenlosen Download
- Günter Henle: Weggenosse des Jahrhunderts.
Als Diplomat, Industrieller Politiker und Freund der Musik | PDF, 135 MB
Die Autobiographie Günter Henles
Stuttgart 1968, 420 Seiten, deutsch
- Günter Henle: Three Spheres. A Life in Politics, Business, and Music | PDF, 92 MB
The Autobiography of Guenter Henle
Chicago 1971, 306 Seiten, englisch - Günter Henle: Verlegerischer Dienst an der Musik | PDF, 21 MB
München 1973, 75 Seiten, deutsch - Musik, Edition, Interpretation. Gedenkschrift Günter Henle | PDF, 145 MB
herusgegeben von Martin Bente, mit Aufsätzen zahlreicher Fachwissenschaftler
München 1980, 498 Seiten, deutsch, englisch und französisch - Wolf-Dieter Seiffert: "Urtext" – ein historischer Überblick. Online-Veröffentlichung 2014, deutsch
Hinweis: Das weltweite Copyright aller Texte liegt beim G. Henle Verlag. Bei Zitaten bitte jeweils die gedruckte Ausgabe verwenden.