Musiker vertrauen den blauen Urtextausgaben aus dem Hause G. Henle, denn sie bieten:
- den unverfälschten, zuverlässig korrekten Notentext
- ein exzellentes, ästhetisch ansprechendes Notenbild
- optimale musikpraktische Einrichtungen (Wendestellen, Fingersätze)
- eine hochwertige und deshalb langlebige Ausstattung (Umschlag, Druckpapier, Bindung)
- Vorworte und erläuternde Fußnoten in deutscher, englischer und französischer Sprache
- Quellennachweis, Quellenbewertung, Lesarten und Dokumentation vorgenommener Korrekturen (= „Kritischer Bericht") in deutscher und englischer, oft auch französischer Sprache
Über den Begriff "Urtext" wird seit seinem Auftreten immer wieder diskutiert. Dabei ist der Leitgedanke ganz einfach und plausibel: Dem Musiker wird ein Notentext geboten, der einzig und allein dem unverfälschten Willen des Komponisten entspricht. Man möchte meinen, dies sei eine Selbstverständlichkeit. Doch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein waren die großen Interpreten ihrer Zeit der festen Überzeugung, dass die Notentexte - vor allem der Werke des 18. Jahrhunderts - gerade im Hinblick auf das Wie der Ausführung unvollständig oder falsch überliefert seien.
Also korrigierten, ergänzten und glätteten sie nach eigenem Gutdünken oder in Berufung auf Augen- oder Ohrenzeugenschaft. Sie bedienten sich dazu in der Regel nicht einmal der ursprünglichen Quellen, sondern bearbeiteten häufig die nächstbeste Druckausgabe, die ihrerseits vermutlich bereits vom Original abwich. So verzerrte sich der originale Notentext erheblich, manchmal bis hin zur Unkenntlichkeit.
Um eine Urtextausgabe erstellen zu können, die ihrem Namen gerecht wird, muss ein philologisch geschulter Herausgeber zuerst alle verfälschenden Schichten abtragen, vergleichbar einem Restaurator, der ein im Laufe der Jahrhunderte entstelltes Gemälde wieder in seiner originalen Gestalt zum Vorschein bringen möchte. Dazu bedient sich der Herausgeber der sogenannten Quellenkritik. Sie fragt danach, ob und inwieweit ein überliefertes Dokument (z.B. eine Musikhandschrift oder ein Druck) vom Komponisten autorisiert ist oder nicht. Oft genug fehlt die originale Handschrift des Komponisten, und selbst wenn sie verfügbar ist, muss geprüft werden, ob spätere Quellen (z.B. die Erstausgabe) nicht ebenfalls vom Komponisten autorisiert wurden. Sobald man sicher ist, die Spreu vom Weizen getrennt zu haben, beginnt der zweite, nicht minder mühsame Teil der Arbeit: die Textkritik.
Denn jetzt, da man zum „Ursprung" der Überlieferung vorgedrungen ist, müssen die Quellen (= die Textzeugen) sorgfältig befragt werden – Note für Note, Zeichen für Zeichen. Schon allein wegen der Komplexität der musikalischen Schrift überliefern die Quellen den Text erfahrungsgemäß nicht völlig widerspruchsfrei. Hier ist die Entscheidung des textkritischen Herausgebers gefragt. Die wichtigsten Beobachtungen und Herausgeberentscheidungen müssen dabei in Form von Bemerkungen im Vorwort, im beigefügten Kritischen Bericht oder in Fußnoten erläutert oder durch Kennzeichnung innerhalb des Notentextes offen gelegt werden. So ist es kein Wunder, dass ein Herausgeber viel Geduld, Wissen und Zeit investieren muss, bis er den gültigen Urtext erarbeitet hat. Ausgewiesene Spezialisten mit großer Erfahrung edieren im engen Zusammenspiel mit unserem Lektorat die Urtextausgaben.
Den einzig gültigen Urtext eines Musikwerks gibt es nicht, denn – wie zuvor beschrieben – ist der Urtext nicht etwa gleichzusetzen mit der Handschrift eines Komponisten. (Leider meinen das bis heute noch viele Musiker, wozu wohl auch der Terminus „Urtext" selbst beiträgt). In den meisten Fällen muss der Urtext-Herausgeber bei voneinander abweichenden Lesarten der wichtigen Quellen eine Entscheidung treffen: Was ist „korrekt", was ist „falsch"? Oft genug kann keine eindeutige Klärung erfolgen. Eine gute Urtextausgabe begründet in jedem Falle die getroffene (gedruckte) Entscheidung. Doch „errare humanum est" – und deshalb ist es so wichtig, dass Musiker und Philologen in ständigem fruchtbaren Austausch stehen. Dazu möchte unter anderem auch unser Blog beitragen.
Der gesicherte, ausschließlich auf den musikalischen Quellen beruhende Notentext ist das Entscheidende einer Urtextausgabe. Doch eine Urtextausgabe von Henle muss darüber hinaus den Anforderungen der musikalischen Praxis dienen. Dazu gehört unserem Verständnis nach neben dem gut lesbaren Notenstich vor allem ein Vorschlag zum Fingersatz und ggf. zum Bogenstrich. Beides versteht sich als Anregung und Basis für die Aneignung durch den Nutzer. Berühmte Musikpädagogen und Künstler stellen dabei für Henle-Urtextausgaben ihr Wissen und ihre Erfahrung zur Verfügung. Etliche Ausgaben (vor allem der Streicher-Literatur) bieten wir gleichzeitig mit und ohne Einrichtung an, und das gesamte Klavierwerk von Johann Sebastian Bach in separaten Ausgaben entweder mit oder ohne Fingersatz.